Gesangsdozentin

Musik: Atem der Statuen.       Vielleicht:
Stille der Bilder.       Du Sprache wo Sprachen
enden.       Du Zeit,
die senkrecht steht auf der Richtung vergehender Herzen.

Gefühle zu wem? O du der Gefühle
Wandlung in was? -: in hörbare Landschaft.
Du Fremde: Musik. Du uns entwachsener
Herzraum. Innigstes unser,
das, uns übersteigend, hinausdrängt, –
heiliger Abschied:
da uns das Innre umsteht
als geübteste Ferne, als andre
Seite der Luft:
rein,
riesig,
nicht mehr bewohnbar.

Rainer Maria Rilke

Für mich ist die Schulung der Gesangsstimme im klassischen Fach eine gleichzeitige Begegnung mit dem physischem und seelischem Raum des anderen Menschen.
Dieses lebendige und emotionale Schaffen und diese Begegnung in der Musik ist an Raum und Zeit gebunden und soll für mich auch in diesem Raum und Zeit von uns Künstlern, Musikern geschaffen werden. Auch beim Selbstüben, in der Gesangsstunde und im Konzert ist diese Hingabe angestrebte Voraussetzung.
Die schöpferische Auseinandersetzung mit meinen SchülerInnen ist in ihrer Art eine künstlerische Begegnung mit dem uns eigenen Schöpfungsdrang, sie findet daher immer auf gleichem Niveau und ohne hierarchisches Gefälle statt.
Der Sänger übt sich im Singen und der Dozent übt sich in Dozieren. Hier ist der Prozess des Lernens von Beiden wichtiger als das Resultat.
Um selbst in der Aufgabe des Dozierens wachsen zu können, möchte ich den/die Sänger/in verstehen und sehen lernen. Wie Prof. D. Fischer-Dieskau schon sagte; man muss sich in das Gefühl des Singens, die Ausdrucksmöglichkeiten, die seelischen und physischen Begebenheiten der jeweiligen Schüler hineinversetzen können, ohne den eigenen Charakter als Sängerin und Dozentin zu verlieren.
Dabei hilft mir die Dreigliederung des Prozesses der Gesangslehre – vergleichbar mit einem gleichseitigem Dreieck, wobei allen Ecken der gleiche Stellungswert zukommt.


Das Physische

Das Physische ist die Atemschulung, Stütze, Körperbalancierung, Haltung, der Vokalausgleich und die Passaggio-Technik, aufgebaut aus der Mitte der Stimme mit Randschwingung. Die Gesangstechnik spielt schwerpunktmäßig eine große Rolle für das Wohlbefinden und den Weg zum Ausdruck im Singen mit Zugriff auf die totale Tessitur. Dabei ist jedoch auch das Seelische mitbestimmend, zum Beispiel bei Spannungen im Kiefergelenk oder bei einem Defizit der Fähigkeit sich im eigenen Körper wahrzunehmen (u.a. festen Kiefergelenk = Festhalten an
Emotionen).
Nach dem Kennenlernen, ist meine Herangehensweise die Auswahl eines Themas zu treffen, wo wir mit dem Unterricht beginnen wollen.
Das Wort Korrigieren benutze ich dabei nicht. Es gibt kein Gut oder Falsch es gibt nur den Prozess des Suchens und des Wohlbefindens, wenn man Antworten finden will.


Das Seelische

Das Seelische, Geistige ist für mich Teil des Prozesses der Schulung. Der Sänger findet immer mehr Zugang zu seinem Inneren, den Emotionen und Gefühlserregungen die ihn das Repertoire auf sehr individuelle, persönliche Art erfahren lassen.
Hier geht es um das Erleben von Inhalten, nicht um schauspielerisches Interpretieren. Es geht um den Weg, den Ausdruck im Musizieren auf den kleinsten Millimeter der Komposition, sich innerlich verbunden, ständig verändernd, in der Musik spüren zu lernen, sowie Fantasie und Entfaltung zu erleben.
Ich biete freie Imagination und Assoziation mit den Inhalten der Texte, Libretti und Liedtexte an.


Das Kollektive

Das Kollektive, der soziale Aspekt der Schulung ist das Zusammen-Musizieren, sowie die Auseinandersetzung mit dem Stück und dessen Bedeutung für den Komponisten. Der Sänger bietet den Zuhörern etwas an, was frei aus ihm selbst heraus entsteht, mit dem Versuch dem Komponisten in seinen Erwartungen und kulturellen Gesetzmäßigkeiten so treu wie möglich zu sein.
Das Wissen über den Komponisten, seine Zeit und seinen Stil, wie auch Geschicklichkeit und Empathie in Zusammenarbeit mit Kollegen, Pianisten, Ensembles, Dirigenten und Regisseuren soll in die Gesangsarbeit einfließen.
In Kursen mit meiner Liedbegleiterin Femke Da Graaf biete ich diese Duo-Arbeit an. Es kann auch mit kleinen Ensembles für Konzerte oder Opernprojekte gearbeitet werden, um mehr Erfahrung im Musizieren und auf der Bühne sammeln zu können.
2019 habe ich hinsichtlich des kollektiven Zugangs zur Gesangslehre mit jungen SängerInnen und einem Barockensemble die Oper „Dido and Aeneas“ von Henry Purcell in Arosa realisiert.


Im Kern kann ich meine technische Unterrichtsart mit meiner Überzeugung, dass es um ein Erlernen entspannter Spannung geht, zusammenfassen. Wir brauchen unseren Körper, um Gegenkraft für den Sitz der Stimme zu erzeugen. Für mich ist
die Stütze dem Loslassen und Entlassen der Luft in die Stimme gleich. Nur dann ist mit Tonus im Atemmuskel, Zwerchfell und Zwischenrippenmuskel die Randschwingung in den Stimmbändern möglich.
Man kann so die Masse der Stimme vermeiden oder je nachdem auch mal bewusst einsetzen. Für das barocke Repertoire und die Liedkunst ist diese Herangehensweise ein „Muss“ um die ganze Tessitur der eigenen Stimme mit der Dynamik, die von uns erwartet wird, benutzen zu können.
Der Bariton Thomas Hampson sagte so schön, dass eine Atemführung auf diese Art „not negotiable“ ist. Wir brauchen unsere Lungen und unser Zwerchfell in einer Funktion die nicht vergleichbar ist mit dem Sprechen, und trotzdem aus einem Gefühl der Entspannung kommen muss. Nur die Gegenkraft kann so etwas bewirken.
Dieser flexible Luftgebrauch in den Stimmbändern ist ebenso wunderbar für Operngesang mit Dirigenten, die der Meinung sind, dass die feine Stimme (Sitz) wichtig ist, um über das Orchester zu kommen und nicht mehr brüllen zu müssen.